Vorweg: Warum haben wir überhaupt an diesem BarCamp teilgenommen?

Grund 1 von 2: Als wir gelesen/gehört haben was ein BarCamp ist, fanden wir die Idee des BarCamps einfach total geil. Es erlaubt semi-strukturiert Probleme zu lösen, ist zugleich partizipativ, crowd-sourced, ad hoc, agil und legt den Fokus auf die Anliegen aller Anwesenden. Deshalb hatten wir uns aus der BarCamp-Liste kurzer Hand alle heraus geschrieben, die für uns interessant sind.

Grund 2 von 2: Wir rätselten immernoch am Mysterium, wie wir unser Wissen und Können effektiv-altruistisch einbringen können. Darum sind wir gleich ins kalte Wasser gesprungen und haben im ersten Session Block eine Ask-Session zu dem Thema „Wie können ‚digitale Fachmenschen‘ (unter Berücksichtigung der Berufsethik) am besten helfen?“ initiiert.

Dieser Beitrag dokumentiert, ob und wie diese beiden Anliegen erfüllt wurden. Dazu skizzieren wir zunächst, wie wir die Veranstaltung erlebt haben. Darauf folgt die kleine Analyse, in der wir für uns zusammenfassen wo unsere Wunsch-Kunden ihre Probleme sehen, welche implizite Annahmen und (falsche?) Schlussfolgerungen dabei involviert sind, und was haben wir Teilnehmenden aus der Veranstaltungen (nicht) mitgenommen haben. Spoiler-Alarm: metamine wird anhand der gewonnenen Erkenntnisse konkrete Maßnahmen einleiten!

Wie wir es erlebt haben

Die Teilnehmerschaft bestand aus Menschen, die in gemeinnützigen Organisationen arbeiten (Mehrheit), plus die Menschen aus der digitalen Welt (wie uns), plus allgemein Interessierte. Die Themen Sichtbarkeit, und damit verbunden auch Mitgliedergewinnung, waren zwei wesentliche Punkte, die immer wieder aufkamen. Folglich wurde die Digitalisierung weitestgehend auf die Nutzung von sozialen Medien und vielleicht noch vermittelnden Plattformen sowie Wissensdatenbanken im Internet reduziert. Soziale Netzwerke werden als Werkzeug zum „Andocken“ bei den Menschen verstanden; weniger als Instrument um produktive und grundsätzliche Prozesse innerhalb der Organisation zu verbessern oder zu überdenken (womit wir Digitalisierung in erster Linie assoziieren). Eine wichtige Erkenntnis 💡, die für uns daraus resultiert ist, dass wir unterschiedliche Erwartungen an Digitalisierung hatten und haben.

Zudem war aus vielen Ecken eine generelle Abneigung gegenüber Software heraus zu hören, deren Einsatz nicht mit deutschem bzw. europäischem Datenschutz in Einklang gebracht werden kann. Paradoxerweise war die große Aufmerksamkeit dennoch fast durchgängig auf dem Gebrauch von Facebook, Instagram und Whatsapp gerichtet. Insbesondere bei der Kommunikation nach außen scheint es eine Ohnmachtslosigkeit zu geben, wenn man diese Dienste nicht verwendet.

Bei der Nutzung von digitalen Tools abseits der sozialen Medien war die Kompromissbereitschaft gegenüber „ethischeren“ Alternativen gefühlt noch verhaltener. So waren beispielsweise Open Source Systeme einigen Teilnehmern bekannt, die Gebrauchstauglichkeit jedoch wurde als erster Grund angeführt, wieso diese Systeme nicht so gut angenommen werden.

Darüber hinaus wurde die Digitalisierung Mittel gesehen, welches zum einen in der Lage ist Generationen zu trennen oder zu einigen, und zum anderen die Realität fern zu halten oder nahe zu bringen. „Offline oder online“ – was ist eigentlich das Reale? Hier zeigte sich eine gefühlte Lücke zwischen den Generationen darin, wie sie ihre Realität konstruieren. Je mehr Menschen digitale Medien konsumieren, desto mehr konstruiert sich ihre Realität auch durch das, was sie dort sehen. Ob online oder offline als die Realität angesehen wird scheint vor allem auch von der Altersstruktur innerhalb der Organisation geprägt zu sein.

Das Thema Alter ist oft aufgetaucht. Und in der Tat gibt es Bedenken, dass es in den nächsten Jahren wichtig sein wird, die aus dem Gemeinwohlorientierten Handeln aussteigenden älteren Generation adäquat ersetzen zu können. Insbesondere der direkte menschliche Kontakt, oft voller Empathie und ohne Berührungsängste, ist eine große Stärke dieser Generation. Dabei scheinen jüngere Generationen an vielen der gemeinnützigen Themen doch großes Interesse zu haben. Bloß ist es ein großes Hemmnis sich langfristig zu einem Thema, und damit auch zu einer Organisation, verbindlich zu erklären. Darüber hinaus ist die Lebenssituation bei Jüngeren oft noch nicht so gefestigt, es gibt also mehr Fluktuation im sozialen Umfeld (z.B. häufigere Umgezüge, mehr kulturelle Eingewöhnungs- und Umstellungsphasen durch Studium/Berufseinstieg).

Wie können wir unter diesen Umständen dieses wertvolle Wissen und diese Fähigkeiten der „älteren Aktiven“ erhalten und weitergeben? – In diese Fragestellung lässt sich die Stimmung der Veranstaltung, zumindest in den Sessions, die wir besucht haben, gut zusammenfassen.

Wo unsere Wunsch-Kunden ihre Probleme sehen

Nun wollen wir unsere Erfahrungen etwas aufdröseln. Wir brannten darauf zu erfahren, was eigentlich die primären Sorgen derer waren, die wir mit unserer Arbeit unterstützen wollen. Unserem Verständnis nach sind diese zusammengefasst also:

  • Das Master-Problem: Man hat zunehmend zu wenig Mitglieder*Innen und weiß nicht wie man neue aquirieren soll.
  • Weiterhin: Man hat überwiegend ältere Mitglieder*Innen, welche mit neuen Technologien mindestens überfordert sind und zudem diesen ziemlich skeptisch gegenüber stehen…
    • … weil es nichts gibt, was einem Orientierung darüber gibt, was für digitale Möglichkeiten, wozu, wo, wie, wann und warum existieren.
    • … weil diese schwierig zu erlernen sind, also unzugänglich und ungebrauchstauglich sind.
    • … weil Facebook & co. böse sind.
    • … weil es, wie immer, stets an Ressourcen mangelt: Zeit, Geld, Man Woman Humanpower.

Implizite Annahmen und (falsche?) Schlussfolgerungen

Als weitaus interessanter, stellten sich allerdings die unbewussten Annahmen heraus, weshalb digitale Tools die hoffnungsvolle Lösung der Probleme gemeinnütziger Organisationen sein sollen, wie z.B.:

  • „Die fehlende Sichtbarkeit unserer Organisation ist das Haupthindernis für die Mitgliedergewinnung, denn es gibt viele Leute, die motiviert sind – sie finden uns nur aufgrund der Reizüberflutung nicht.“
  • „Mehr Sichtbarkeit erhält man am einfachsten und schnellsten über die Mainstream sozialen Medien.“
  • „Man muss vor allem junge Mitglieder gewinnen, um als Organisation zu überleben.“
  • „Junge Menschen erreicht man am besten über soziale Medien.“
  • „Man braucht immer sehr viel Zeit, Energie und Ausdauer, um neue Tools einzuführen.“
  • „Es gilt ‚Friss oder stirb‘ – Ich muss Facebook & co. benutzen, weil es keine Alternativen gibt.“

Mit diesem Mindset, oder wie wir sagen mentalen Modellen, waren die meisten Teilnehmer*innen an diesem Tag dort unterwegs. Und obwohl die Mehrzahl durchaus voller Inspiration und Euphorie die Veranstaltung verlassen haben, haben wir im Gefühl, dass aufgrund dieser mentalen Modelle trotzdem einige mit fast den gleichen Fragen nach Hause gegangen sind, mit denen sie auch gekommen sind. Damit kommen wir zum nächsten Punkt.

Was haben wir alle aus der Veranstaltung (nicht) mitgenommen?

Aus den Diskussionen vor Ort haben alle Teilnehmer gemeinsam einige Learnings mit nach Hause nehmen können, wie zum Beispiel:

  • Wenngleich das Digitale (online) sprachlich oft auch als Gegenstück zum Analogen (offline) verwendet wurde, wurde im Laufe der Diskussion erkannt, dass man gar keine Entweder-Oder-Entscheidung fällen muss, sondern beides ergänzend einsetzen kann. Ausgehend von Ziel und Zielgruppen muss überlegt werden welche Mittel im konkreten Fall adäquat sind.
  • Ebenfalls kann überlegt werden abgespeckte Versionen von digitalen Systemen für bestimmte Menschen bereitzustellen, um einen möglichst niedrigschwelligen Einstieg zu ermöglichen – „Website light“ war hier ein O-Ton. Dies kann dann Schritt für Schritt ausgebaut werden, bis die Lücke zum vollen System, mit dem vielleicht nur Digital Natives bisher zurecht kamen, vollständig geschlossen ist.
  • Trotz der Macht der Internet-Riesen, können und sollten wir Haltung zeigen – Alle Teilnehmer*innen sich einig, dass es grundsätzlich nicht gut ist für die Sichtbarkeit Werbung zu schalten und somit die unethischen Geschäftsmodelle zu unterstützen.
    Was ist aber mit den Fragen wie: Wenn nicht Facebook & co, was dann? Ich kann die coolen Kampagnen, die für andere gut funktioniert haben, doch für mich nicht einfach so übernehmen? Wie viel Ausdauer brauche ich noch, um meinen KollegInnen von den digitalen Werkzeugen zu überzeugen? etc. — *That feeling of „Klar, das macht total Sinn! … Aber irgendwie komme ich trotzdem nicht so viel weiter.“** 🤔

Annahmen kritisch hinterfragen hilft

Wenn wir nun im Nachgang in aller Ruhe die zuvor identifizierten Annahmen kritisch reflektieren, erkennen wir ganz neue (und auch viel spannendere!) Chancen und Potentiale die Probleme zu lösen.

„Die fehlende Sichtbarkeit unserer Organisation ist das Haupthindernis für die Mitgliedergewinnung, denn es gibt viele Leute, die motiviert sind – sie finden uns nur aufgrund der Reizüberflutung nicht.“

Was ist mit den anderen Gründen, weshalb Menschen nicht in gemeinnützige Organisationen beitreten wollen? Könnte es nicht sein, dass diese anderen Gründe die ausschlaggebenden sind? Wie eben der Fakt, dass sich Menschen heutzutage weniger mit einer Organisationen identifizieren wollen, als eher mit den Werten, für welche gekämpft wird? Bei diesem Problem (ist es denn wirklich überhaupt eins?) kann Technologie zwar helfen, allerdings erst dann, wenn bekannt ist, wie man damit sozial angemessen umzugeht. Wie etwa, dass man anbietet, auch ohne eine Mitgliedschaft aktiv zu werden.

„Mehr Sichtbarkeit erhält man am einfachsten und schnellsten über die Mainstream sozialen Medien.“

Was bedeutet Sichtbarkeit genau? Reicht es aus, dass man das Logo sieht? Ab wann ist man sichtbar? Doch erst dann, wenn man wirklich verstanden hat, was die Organisation genau tut und warum. Demnach, würde es ja nicht reichen, wenn man lediglich viele Besucher auf der Website hat. Sondern es wäre doch ausschlaggebend, die dortigen Informationen so zu vermitteln, dass die Besucher in ihren individuellen Situationen (Wertevorstellungen, Wohnort, berufliche Rolle etc.), möglichst gut aufzuzeigen, wie sie sich einbringen können und was dies für alle beteiligten bedeuten würde. Also „gute Aufbereitung der Infos“ über „Vertrieb der Infos“?

„Man muss vor allem junge Mitglieder gewinnen, um als Organisation zu überleben.“

Definiert sich eine Organisation ausschließlich durch ihre Mitglieder? Oder sind Zweck, Ziele und die gemeinsamen Handlungen nicht ebenso wichtig? Grundsätzlich spielt es doch keine Rolle, ob man zuerst Mitglieder gewinnt, um handeln zu können, oder, ob man zuerst wichtige Handlungen vornimmt, welche dann neue Mitglieder anziehen. Weil die Menschen erkennen wie relevant die Arbeit ist. An dieser Stelle wäre es doch egal, welcher Organisation man genau beitritt, wenn sie ähnliche Ziele hat, oder? Folgt man diesem Gedankenspiel, wäre die Auflösung der einzelnen Organisation doch halb so tragisch, so lange dessen Zweck außerhalb immernoch verfolgt wird.

„Junge Menschen erreicht man am besten über soziale Medien.“

Heißt es nicht, Facebook wird immer älter? Und ist das nicht so, dass es bei Instagram primär darum geht sich gemeinsam an optischen Schmuckstücken zu erfreuen? Und bei Twitter sind doch auch eher die etwas gebildeteren, oder? Und dann sind da noch diese Filter-Blasen.. Wo kann man denn junge Menschen denn nun wirklich begegnen? Na mindestends doch da, wo man sich ungefiltert begegnen kann, nämlich draußen auf der Straße. Hmmm.. Mitgliederaquise offline… ist auf dem ersten Blick ein ganz anderes (und ultra schwieriges) Thema. Im Endeffekt, lohnt es sich aber eventuell mehr hier die Ressourcen zu investieren, anstatt in die Sichtbarkeit online.

„Man braucht immer sehr viel Zeit, Energie und Ausdauer, um neue Tools einzuführen.“

… aber doch nur, wenn da keine Interaktiondesigner und Usability Engineers am Werk waren 🤓. Ein schlechtes „Benutzererlebnis“ liegt an einem schlechtem Design, nicht am Unwissen des Benutzers. Und Gebrauchstauglichkeit kann man einfordern. Das heißt, es ist völlig legitim zu sagen „Ich habe dafür bezahlt, ganz egal ob mit Geld oder Daten, ich soll es auch benutzen können, um die Ziele zu erreichen, die mir versprochen wurden!“.

„Es gilt ‚Friss oder stirb‘ – Ich muss Facebook & co. benutzen, weil es keine Alternativen gibt.“

Mittlerweile fühlt die Mehrheit der Öffentlichkeit diese Zwickmühle doch auch, oder? Kann man diesen kollektiven Frust, nicht auch in Energie umwandeln, um aktiv gegen zu halten sowie Alternativen zu fordern und zu fördern? Es müsste doch mittlerweile, zumindest in Deutschland, genügend Menschen geben, die mit Vergnügen umsteigen würden – solang sie als Einzelpersonen nicht die einzigen sind. Oder?

Es ist nicht so, dass die ursprünglichen Annahmen falsch sind und diese kritischen Gedankengänge richtig. Man muss auch nicht auf alle diese Zwischenfragen eine Antwort finden. Es geht viel eher darum zu erkennen, dass es Fixationen auf bestimmte Lösungen gibt. Und, dass diese zum einen nicht die einzigen Lösungen sind, und zum anderen erst recht nicht immer die effektivsten sind. Und das beste Mittel gegen Fixationen ist übrigens Kreativität.

Fazit

Um auf die Anliegen zurück zu kommen, wegen denen wir das BarCamps besucht haben nun das Fazit.

Fazit zu *“Ist BarCampen wirklich so geil?“*: BarCamp… welch wunderbare Veranstaltungsform, die wir da am Samstag miterleben durften! Wir trafen auf ein super OrgaTeam, was übrigens für eine sehr leckere, vorwiegend aus Bio Lebensmitteln bestehende Verpflegung gesorgt hat. Ein besonderes Lob dafür. Und vielen, vielen Dank für unser tolles erstes BarCamp Erlebnis🙏!

Fazit zu *“Wie können wir nun am besten helfen?*“: Es hat sich gezeigt, dass die mangelnde Verfügbarkeit von adäquaten digitalen Systemen zwar auch ein Thema ist, es jedoch andere Probleme gibt, die man sinnvollerweise eher adressieren sollte:

1. Es fehlt eine freundliche und achtsame Hilfestellung bei der Nutzung von digitalen Werkzeugen.

Oftmals sind es nur tiny bits of Wissen, kleine Life Hacks, die fehlen, um einen Einstieg „in die digitale Welt“ zu erleichtern. Bislang hat sich scheinbar nur noch niemand bereit erklärt, dieses Wissen zu sammeln und aufzubereiten. Dies betrifft Fragestellungen wie „Welche Tools eigentlich und wann können wir diese am besten für und einsetzen?“ oder „Wie können wir die Menschen erreichen, die schon voll bereit sind unser Vorhaben zu unterstützen?“.

2. Das Verständnis von sozio-technischen Systemen ist noch zu wenig verbreitet.

Um die bleibenden Fragen endlich zu beantworten, müssen wir anerkennen und verstehen wie Technik uns auch über die Benutzung hinaus, gesamtgesellschaftlich beeinflusst. Wenn wir also erkennen, dass technische Benutzungsschnittstellen auch sozial mit uns interagieren, wissen wir auch, wie wir diese am besten gestalten und benutzen müssen. Also gestalten wir Mensch-Mensch-Interkation durch die Gestaltung der Mesch-Maschine-Interaktion. Anders gesagt: Digitalisieren heißt auch soziale Arbeit leisten, nicht nur Programmierarbeit.

Was wir nun als metamine tun können, um all dies aufzugreifen, dazu haben wir bereits ein kleines Brainstorming gemacht. Zum Beispiel könnten wir eine Digitalisierungssprechstunde einrichten, zu welcher solche Fragen einfach zu einem festen, regelmäßigen Termin gestellt werden können. Oder wir könnten ein Wiki aufsetzen, ähnlich wie eine Wissensdatenbank mit Tutorials… oder beides. Wir werden diese ersten Ideen ausarbeiten.

Lass uns gerne wissen, wie Du diese Ideen findest oder wenn Du noch weitere Ideen hast, dann schreib uns!